#52weeks52sports: Bouldern


Tänzer an der Wand

Schwerkraft kann ein kleines Miststück sein. Seit einer Viertelstunde versuche ich vergeblich, mich an diesem letzten Griff hochzuziehen um endlich oben anzukommen. Aber es will einfach nicht klappen. Der Griff ist zu weit weg, meine Beine sind mir im Weg und die Muskulatur in den Armen zittert verzweifelt. Zwar sind die Wände beim Bouldern nur um die vier Meter hoch, trotzdem ist es eine Herausforderung ganz oben anzukommen. Ich habe das doch mal gekonnt. Zumindest ein bisschen. Kann doch nicht sein, dass ich die Wand nicht mehr hochkomme. Aber ich gebe nicht auf. Auch wenn sich schon leichte Schwielen an meinen Händen gebildet haben, meine Greifmuskulatur dicht macht und ich morgen ganz sicher Blasen an den Fingern haben werde.

KLettern Für Feiglinge ???

Seinen Ursprung hat das Bouldern vermutlich in Frankreich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nutzte eine Gruppe von Alpinisten die Sandsteinfelsen in Fontainebleau bei Paris, um zu trainieren. Eigentlich wollten sich die Sportler auf ihre Trips in die Alpen vorbereiten, das Klettern in Absprunghöhe machte Ihnen aber so viel Spaß, dass Bouldern für sie mehr wurde, als nur ein Mittel zum Zweck. Maßgeblich geprägt wurde der Bouldersport dann vom Amerikaner John Gill und vom Deutschen Wolfgang Fietz. Gill entwickelte in den 50er und 60er Jahren mithilfe von Elementen aus dem Ringturnen - seinem eigentlichen Sport - einen sehr dynamischen Bewegungsstil in der Wand und damit eine ganz neue Art des Kletterns. Er gilt bis heute bei vielen als der Vater des modernen Boulderns.

 

In Deutschland wurde Bouldern in den 70er und 80er Jahren von manchen noch als Klettern für Feiglinge belächelt. Wolfgang Fietz galt zu der Zeit als einer der besten Kletterer der Welt. Der Spott hielt ihn nicht davon ab, neben dem traditionellen Klettern mit Sicherung auch das Klettern in Absprunghöhe zu trainieren. Durch das Bouldern gelang es ihm, als Erster Routen frei zu klettern, die bis dahin als unbezwingbar galten. Und sorgte damit dafür, dass Bouldern ernst genommen wurde - was in den 90er Jahren einen Boulder-Boom in Deutschland auslöste.

Aller anfang ist schwer

Ein bisschen froh bin ich schon, dass die Wände beim Bouldern nicht gleich 15 Meter hoch sind. Außerdem liegen auf dem Boden weiche Matten, die meine Stürze abfedern. Denn ich rutsche immer wieder von der Wand ab. Michael von der Boulderhalle K11 in Köln gibt mir eine kleine Einführung.

Für mich gut geeignet sind die Routen mit den gelben Markierungen - geklettert werden darf dann nur an den Griffen, die die gleiche Farbe haben wie der markierte Startgriff. Die Anfänger-Routen bekomme ich noch ganz gut hin, ein bisschen Überwindung kostet es mich, bis ganz nach oben zu gehen. Da mein Kopf 175 Zentimeter höher ist, als meine Füße, fühlt es sich ganz schön hoch an. Gestartet werden die meisten Routen aus dem Sitzen. Die Hände an die Startgriffe, die Füße mit den Zehen auf die beiden untersten Tritte. Und dann irgendwie den Körper nah an die Wand ziehen, den nächsten Griff erreichen, ausbalancieren und hochziehen. Gar nicht so einfach. Und ich merke, wie die Muskulatur in meinen Unterarmen immer härter wird und dicht macht. Michael wundert das nicht. Ich ziehe zu viel aus den Armen, verlagere zu wenig mein Gewicht und kann mich dadurch nicht optimal aus den Beinen zum nächsten Griff hochdrücken. Ich gehe mindestens zehn Anfängerrouten hoch, bis ich das Gefühl habe, dass es sich einigermaßen richtig anfühlt. Ich bin außer Atem, die Arme sind müde, aber jetzt will ich unbedingt noch etwas schwierigeres ausprobieren.

Von machbar bis knackig

Die Routen beim Bouldern werden auch "Problem" genannt. Wie passend. Genau so ein Problem habe ich mir ausgesucht. Es ist eigentlich nur eine grüne Route - laut K11-Farbskala also "machbar". Von wegen.

Immer wieder scheitere ich daran, einen weiter entfernten Griff zu erwischen. Michael gibt mir den Tipp, die Route vor dem Klettern im Kopf durchzugehen. Wo muss welche Hand hin, wo welcher Fuß? Und bloß nicht immer nur mit dem Bauch zur Wand klettern. Manchmal muss man sich auch seitlich drehen, das Gewicht verlagern, die Schulter weit ausdrehen. Und plötzlich ist der Körper dann doch lang genug, um sich eine Stufe weiter hochzudrücken. Ich gehe die grüne Route also noch mal an. So wie Michael mir empfohlen hat, setze ich meinen rechten Fuß mit meinem Bein quer vor dem Körper auf den winzigen Tritt an der linken Seite. Die engen Kletterschuhe mit den kantigen Sohlen geben mir zum Glück so viel Halt, dass ich mich aus dem Bein nach oben drücken kann. Und endlich erwische ich den "Problem-Griff", kann den Fuß einen Tritt höher setzen und mich zum Ziel nach oben hangeln. Geschafft.

Ich bin ganz schön im Eimer, aber auch ganz schön stolz. Boulder-Problem gelöst. Das typische zufriedene Gefühl eines sportlichen Erfolgs. Ich weiß jetzt schon, dass ich morgen vermutlich nicht mal mehr eine Wasserflasche ohne Hilfe werde aufdrehen können. Und Schwielen an den Händen hab ich - aber sowas trägt man ja mit Stolz, oder? Bouldern hat auf jeden Fall Potenzial, nach diesem Jahr zu einer regelmäßigen Sportart für mich zu werden. Ich mag die Kombination aus Kraft, Technik und Konzentration. Und ich mag den Gedanken von John Gill. Er sieht im Bouldern weit mehr als eine Sportart, nämlich eine Art der Selbstfindung. Bouldern hat etwas sehr meditatives. Richtig gute Boulderer sehen aus, wie Tänzer in der Wand. Sie gleiten elegant und akrobatisch an der Route hoch, als wäre es nichts. Gill war der Auffassung, dass jeder beim Bouldern seinen eigenen Weg finden muss.

 

Ich finde, das ist ein schönes Motto für die kommenden 50 Wochen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Isabel Falconer (Mittwoch, 11 Januar 2017 14:33)

    Sehr gut gemacht! Der Muskelkater sein Dein Lohn für die Mühen <3
    Da bekommt der Ausspruch "rock on, Sister" doch gleich ganz neue Bedeutung.

    Von Herzen