52weeks52sports: Kimoodo

A healing Art

Ich strecke beide Arme waagerecht nach vorne, gehe in eine Schrittstellung und drehe dann meinen Oberkörper langsam nach rechts. Mein Blick folgt den Händen und ich drehe immer weiter, bis ich ganz nach hinten schaue. Knack! Irgendwas in meiner Schulter ist endlich wieder an seinen eigentlichen Platz zurückgesprungen. Entspannt und gut gedehnt blinzle ich dem Sonnenaufgang entgegen.  Es ist 6:30 Uhr am Morgen und ich stehe an der Küste von Bis Island auf einem Felsen aus erkalteter Lava. Hinter mir Regenwald, vor mir die unendliche Weite des Pazifischen Ozeans. Wellen schlagen krachend gegen den Felsen, manchmal spritzt mir ein wenig Gischt ins Gesicht. Könnte es einen besseren Ort geben, um den Tag zu begrüßen?

Mitten im Paradies

Im März bin ich für 52weeks52sports auf Reisen. Fast 30 Stunden hat es von Tür zu Tür gedauert, inklusive Turbulenzen, enger Economy Sitze und Schlafmangel. Aber das ist gerade alles vergessen, denn jetzt bin ich im Paradies: Auf Hawai'i. Wie der Name schon sagt, ist Big Island die größte der hawaiianischen Inseln. Und die rauheste. Wir können die Energie des aktiven Vulkans, auf dem wir stehen, spüren. Das Meer ist in ständiger Aufruhr, die Natur ist grün, wild und geheimnisvoll. Die erste Woche verbringe ich mitten im Regenwald - in Kalani. In dem Retreat Center findet dieses Jahr ein internationales Taekwondo-Trainingscamp statt. Dabei gibt es aber nicht nur Kampfschreie, fliegende Beine und zerschlagene Holzbretter, sondern auch das sehr meditative Kimoodo.

Kimoodo bedeutet "Weg der Lebensenergie". Es ist eine Art koreanisches Tai Chi und hat seine Wurzeln in den alten asiatischen Kampfkünsten. Entwickelt wurde Kimoodo von Taekwondo-Großmeister Joon Pyo Choi. Hier im Trainingscamp wird es von Großmeister Gerhard Brunner unterrichtet. Der Träger des 7. Dan (Dan = Meistergrad im Taekwondo) war der erste zertifizierte Kimoodo-Lehrer in den USA. Hier auf Hawai'i begrüßt er mit uns jeden Morgen den neuen Tag.

Die Idee des Kimoodo ist es, die Kraft, die Reflexe und die Beweglichkeit des Körpers zu verbessern. Es geht auch um Gleichgewicht - und zwar sowohl das körperliche, als auch das seelische. Und nicht zuletzt soll Kimoodo auch schlechte Energien wie Angst, Neid oder Wut aus dem Körper ausleiten und Platz machen für positive Energien, wie Freude, Mitgefühl oder Vertrauen. Die Grundbewegungen sind nicht schwer zu lernen. Ältere oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen können Kimoodo im Sitzen ausführen. Anfänger wählen die stehende Position und konzentrieren sich erst mal nur auf die Armbewegungen. Und Fortgeschrittene fügen diesen Bewegungen noch tiefe und komplexe Schrittstellungen hinzu.

Tiger, Kranich und Skorpion

Morgens um sechs Uhr ist es auf dem Felsvorsprung noch dunkel. Wir haben uns mit Taschenlampen hierher durchgekämpft. Nachts gibt es kaum künstliches Licht, eine solche Dunkelheit kenne ich aus der Stadt gar nicht. Der Nachteil: Man stolpert oft. Der Vorteil: Der Sternenhimmel ist gigantisch. Auch auf Hawai'i bedeutet Februar Winter und es ist morgens noch ganz schön frisch. Dementsprechend sind wir noch dick eingepackt, als wir verschlafen unsere Handtücher ablegen und uns einen guten Platz auf dem steinigen Lavaboden suchen. Großmeister Brunner steht vorne an der Klippe, schweigend und tiefenentspannt mit dem Blick aufs Meer. Wir haben uns in mehreren Reihen hinter ihn sortiert. Bis auf die Wellen ist kein Ton zu hören. Wir beginnen mit einer Atemübung. Mit weiten Armbewegungen öffnen wir den Körper. Dabei sollen wir die Energie der Erde, des Himmels und der Menschen um uns herum in uns aufnehmen. Dann beginnen die einzelnen Übungen. Sie sind nach Tieren benannt und imitieren deren Bewegungen. Der Bär, der Stier, die Katze, der Tiger, die Gottesanbeterin, der Kranich, die Kobra und der Skorpion.

Perfekter Start in den Tag

Im Rhythmus unseres langsamen Atems bewegen wir uns so, wie es der Großmeister vorgibt. Wir strecken uns in alle Richtungen, dehnen die Arme, die Beine, den Rücken und den Nacken. Erst vorsichtig mit den Übungen für die Anfänger, dann intensiver, mit Schrittstellungen und Drehungen. Je später es wird und je besser wir aufgewärmt sind, desto komplexer werden die Bewegungen. Die letzte Stellung ist der Skorpion - eine Herausforderung.

Wir kreuzen die Hände vor der Brust. Dann machen wir einen Schritt nach hinten, so dass unsere Beine über Kreuz stehen. Langsam gehen wir dann in die Knie, dabei heben wir einen Arm angewinkelt über den Kopf, den anderen strecken wir waagerecht nach vorne aus. Der Großmeister verharrt tief in dieser Position und atmet ruhig, den Blick auf den Horizont gerichtet. Bei mir hapert es an der Beweglichkeit und der Balance. Ich komme nicht weit genug runter, strauchele und muss noch mal neu ansetzen. An einen rhythmischen Atemfluss ist nicht mehr zu denken. Großmeister Brunner signalisiert mir, lieber nicht so tief und dafür ordentlich zu stehen. Ich finde meine Balance wieder, der Atem beruhigt sich und ich mache meinen inneren Frieden mit dem Skorpion. Ich strecke die Arme und den Körper in Richtung der aufgehenden Sonne und tanke ein bisschen Wärme. Nach etwa 45 Minuten sind wir alle Bewegungsabläufe zweimal durchgegangen. Meine Muskulatur ist warm und aktiviert, mein Körper fühlt sich gut gedehnt an und ich bin wach.

 

Zum Abschluss setzen wir uns im Schneidersitz auf unsere Handtücher. Wir legen unsere Hände auf die Knie, schließen die Augen und meditieren zum Klang der Wellen und der zwitschernden Vögel im Regenwald. Mein Atem wird immer ruhiger, ich lasse die Gedanken schweifen. Plötzlich kommt Unruhe auf. Aufgeregtes Flüstern. Meine Nachbarin stupst mich an: "Ein Wal, direkt auf zwölf Uhr". Ich öffne irritiert die Augen und suche den Horizont ab. Tatsächlich. Es sind sogar zwei Wale, weit weg, aber da es riesige Buckelwale sind, können wir gut sehen, wie sie aus dem Wasser springen. Ein warmes Glücksgefühl strömt durch meinen Körper. Könnte ein Tag besser beginnen?

 

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