52weeks52sports: Wandern

Not all those who wander are lost

Die Sonne brennt von einem klarblauen Himmel. Um mich herum nichts als Berge und Wiesen. Ruhe. Frische Luft. Und irgendein Geräusch. Mimimimimi... Es wird immer lauter, immer störender. Wo kommt das her? Oh nein. Das bin ja ich. Zumindest mein 14-Jähriges, pubertierendes Ich. Dieses Ich steht irgendwo auf dem Puy de Dôme, einem Berg im französischen Zentralmassiv. 1.464 Meter hoch. 1.464 Meter zu viel für meinen Geschmack. Ich könnte so schön am Strand liegen. Stattdessen muss ich mich hier hoch schleppen. Pfffft! Liebe Mama, lieber Papa, wenn ihr das hier lest: Entschuldigung. Es tut mir leid, falls ich euch bei eurer Wanderung damals mit meiner Laune eure Stimmung verdorben habe. Wandern ist gar nicht blöd. Und das massif central in Frankreich ist beeindruckend. Ich hab nur einfach noch ein paar Jahre gebraucht, um das Wandern lieben zu lernen. Deswegen ist diese Geschichte heute vor allem für Euch!

Bei Hawai'i habe ich - wie vermutlich fast jeder - erstmal an traumhafte weiße Sandstrände, Sommerwetter und Surfbretter gedacht. Dabei hat Hawai'i so viel mehr zu bieten, nämlich eine Natur, die weltweit einzigartig ist. Neben viel Sonne gibt es auf Hawai'i auch viel Regen - das macht die Inseln sehr grün und auf der Vulkanerde wachsen die exotischsten Pflanzen. Schaut man vom Strand einmal nicht aufs Meer, sondern hinter sich, entdeckt man Berge, mal schroff und felsig, mal sanft und grün. Und wie könnte man diese Natur besser erkunden, als zu Fuß? Ich habe also vor der Reise ein paar Euro investiert und mir neue Wanderschuhe gekauft. Und ich habe mir fest vorgenommen, dem Wandern noch eine Chance zu geben.

Hawai'i volcanoes national park (Big Island)

Meine größte Sorge bezüglich der Reise nach Hawai'i war der Flug. Ich sitze einfach nicht gerne in Metallröhren, die 10.000 Meter über dem Boden schweben. Dass ich meinen Urlaub auf einem aktiven Vulkan verbringen werde, hat mich eigenartigerweise überhaupt nicht beschäftigt.  Genau genommen befinden sich auf Big Island fünf Vulkane: Der Mauna Kea und der Kohala, von ihnen habe ich (vermutlich) nichts zu befürchten. Die anderen drei Vulkane sind allerdings aktiv: Der Mauna Loa, der Hualalai und der Kilauea. Und letzterer ist zurzeit einer der aktivsten Vulkane der Erde. In der hawaiianischen Spache bedeutet Kilauea so viel wie "spucken" oder "viel verbreiten". Und der Kilauea macht seinem Namen gerade alle Ehre.

Wie eine Art Wasserfall spuckt der Kilauea im Moment seine Lava ins Meer. Es ist nicht ganz einfach, an den roten, glühenden Strom heranzukommen. Eine Wanderung von mehreren Meilen durch den Vulkan-Nationalpark ist dafür nötig. Weil wir an dem Tag nicht viel Zeit haben, machen wir es uns einfacher und leihen uns Fahrräder. Wobei es auch nicht gerade leicht ist, über den Boden aus Vulkansand zu radeln. Links und rechts von uns erkaltete Lava-Felder so weit das Auge reicht Diese Felder stammen von früheren Ausbrüchen und sie haben alles zerstört, was sich ihnen in den Weg stellte: Büsche, Bäume, Häuser. Aber das Leben findet immer einen Weg. Farne und andere kleine grüne Pflanzen kämpfen sich durch die schwarzen Steine. Und die ersten Hawaiianer haben schon wieder kleine Holzhäuser aufgestellt. Wir radeln an ihnen vorbei durch die Einöde bis wir zu einer Absperrung kommen. Ab hier dürfen wir keinen Schritt weiter, aus Sicherheitsgründen. Denn vor kurzem ist an dieser Stelle ein riesiges Stück Felsen abgebrochen und ins Meer gestürzt. Der unterirdische Lava-Strom macht den Boden instabil. Wir schließen also unsere Fahrräder an, verlassen den offiziellen Weg und kraxeln entlang der Absperrung zu Fuß weiter über schroffe, verschwurbelte Lava-Gebilde immer in Richtung der riesigen Dampfwolke. Wir kommen fast bis ans Meer, dann erwartet uns auch dort eine Absperrung. Weiter kommen wir nicht, aber es reicht, um den eindrucksvollen Lavastrom zu sehen, der sich zischend ins Meer ergießt.

Näher ran kommen wir an die überirdischen Lavafelder, die sich langsam, aber unerbittlich vom Berg in Richtung Meer schieben. Wieder heißt es kraxeln und das ist nicht ungefährlich: Teilweise ist das Lavagestein sehr brüchig, teilweise messerscharf. Der Weg ist uneben, immer wieder tun sich plötzlich tiefe Spalten im Boden auf. Aber dann sind die Lavafelder plötzlich schon von Weitem zu sehen und zu spüren. Die Luft flimmert und je näher wir kommen, desto heißer wird es. Ich setze mich fasziniert neben eins der Lava-Gebilde. Es verändert stetig seine Form, es knistert, knackt und leuchtet in einem faszinierenden, fast mystischen Rot. Wie Bitte? Lava ist gefährlich? Ja, sicher. Aber sie ist auch wunderschön!

waimea canyon (Kaua'I)

Ganz anders als das schroffe Big Island begrüßt uns die Insel Kaua'i in unserer zweiten Woche. Hier ist alles grün. Hellgrün, dunkelgrün, mittelgrün, saftgrün, leuchtendgrün, grün, grün, grün. Kaua'i gilt als die Wanderinsel. Also wo wenn nicht hier könnte ich mich dem Wandern so richtig annähern? Unser erstes Ziel ist der Waimea Canyon. Auch genannt der "Grand Canyon des Pazifik". Der Waimea Canyon ist rund 16 Kilometer lang und bis zu 900 Meter tief. Das hawaiische Wort Waimea bedeutet "rötliches Wasser" - und bezieht sich auf den Waimea River, der das rötliche Gestein auswäscht. Ein gern gekauftes Souvenir in der Gegend sind die sogenannten "Dirt Shirts" die mit dem roten Sand des Canyon gefärbt werden. Ich fürchte allerdings, dass die Farbe nie so wirklich in Mode kommen wird. Wir entscheiden uns für den Canyon Trail, der uns eine gute Aussicht verspricht. Nach wenigen Metern treten wir allerdings erst mal wieder die Flucht an: Ohne Mückenspray geht hier gar nichts. Der Weg, der uns erwartet, ist anspruchsvoller als gedacht. Wir müssen klettern, zwischen tief hängenden Ästen durch balancieren und einen Fluss durchwaten. Etwa zwei Meilen lang dringen wir immer tiefer in den Wald, bis es plötzlich bergauf geht und die Bäume sich lichten. Der Ausblick macht sprachlos: Kilometerweit erstreckt sich vor uns der rot leuchtende Canyon. Am einen Ende donnert ein Wasserfall in die Tiefe. Und am anderen Ende öffnet sich der Canyon zum Ozean.

 

kalalau trail (kaua'i)

Ich muss gestehen, dass ich das Wandern bis hierhin noch nicht so richtig lieben gelernt hatte. Es war eher Mittel zum Zweck, ich wollte zur Lava, ich wollte zum Canyon - gut, dann muss ich halt wandern. Innerlich hat mein 14-Jähriges Ich aber wieder geschimpft. Bäh - Mücken. Bäh - Bergauf. Bäh - Antsrengend! Aber dann kam der Kalalau Trail. And suddenly I fell in love with hiking. Der Kalalau Trail gilt als einer der schönsten Wanderwege der Welt - und als einer der gefährlichsten, wegen Steinschlag und Flüssen, die sich bei Regen ganz plötzlich in reissende Ströme verwandeln können. Wir konnten aber zum Glück bei bestem Wetter wandern.

Der Kalalau Trail erstreckt sich über etwa 18 Kilometer entlang der traumhaften Na Pali Coast der Insel Kaua'i. Profi-Wanderer schaffen die Strecke hin und zurück vielleicht an einem Tag. Alle anderen müssen zwischendurch campen oder laufen nur einen Teil des Weges - so wie wir. Unser Plan: Bis zum Hanakapiai Fluss und Strand laufen und zurück. Insgesamt sind das 6 bis 7 Kilometer. Klingt erstmal nicht viel, aber der Weg hat es in sich. Schon die ersten Meter sind eine Herausforderung. Es geht steil nach oben, dabei müssen wir über dicke Felsbrocken klettern. Aber es macht Spaß. Schnell bin ich matschverschmiert, aus der Puste und unendlich glücklich. Die Natur um uns herum macht mich sprachlos. Pflanzen mit riesigen, glänzenden Blättern, Bäume, von denen Lianen hängen und natürlich Palmen und Kakteen. Lustige kleine Vögel mit knallroten Köpfen hüpfen von Ast zu Ast. Und immer wieder wird der Weg unterbrochen von kleinen Wasserfällen und -strömen. Wir kraxeln und klettern, bis der Weg wieder etwas ebener wird und die Bäume plötzlich den Blick freigeben auf die Küste. Es ist ein gigantischer Ausblick. Tief unter uns der Pazifik, riesige Wellen brechen an den Felsen. Es klingt wie ein Gewitter. Von dem blau-weißen Wasser heben sich die Pflanzen ab. Sagte ich schon, wie unfassbar grün hier alles ist?

Ich glaube, es ist dieser Moment, der die Liebe zwischen mir und dem Wandern besiegelt. Oder ist es sogar schon so eine Art Sucht? Ich will weiter, will um die nächste Ecke schauen, will auf den höchsten Punkt, um nach unten zu gucken. Und ich will wissen, was mich am Ziel erwartet. Wir kraxeln also weiter, gemächlich, um die Aussicht zu genießen. Denn diesen Fehler darf man beim Wandern nicht machen: Nur auf den Weg zu schauen. Auch wenn wir für die wenigen Kilometer am Ende mehr als vier Stunden brauchen werden: Ich habe jeden einzelnen Zentimeter dieses Wanderweges aufgesogen und in meiner Erinnerung konserviert. Ich habe am Strand - unserem Ziel - ein ganz neues Gefühl von Zufriedenheit und Freiheit gehabt. Ich bin dreckig und nass geworden und ich habe mir die Knie aufgeschlagen. Und ich fand es super.

manoa falls trail (o'ahu)

Nachdem ich vom Wandern also endgültig hin und weg war, musste es dann auf O'ahu in der dritten Woche natürlich auch noch ein Wanderweg sein. Besonders ans Herz gelegt wurde uns der Manoa Falls Trail, nur ein paar Minuten entfernt von Honolulu. Der Trail ist relativ kurz, dafür aber umso abwechslungsreicher. Er führt vorbei an majestätischen Banyan-Bäumen, durch einen mystischen Bambus-Wald, hin zu den Manoa Falls, unter denen man wegen irgendwelcher unsympatischer Bakterien leider nicht Baden darf.

Zum Glück ist der Weg nur kurz, denn diesmal waren wir völlig unvorbereitet. In Flip Flops ging es über glitschige Steine und für die Mücken waren wir ein ungeschütztes Festmahl. Egal. Wir waren so begeistert, dass wir sogar noch ein Stück von einem angrenzenden Wanderweg gelaufen sind. Auch wenn wir dafür in unseren Flip Flops erstmal ein paar steile Felsen erklimmen mussten. Dafür wurden wir oben aber belohnt mit einem sanften Wanderweg durch einen Bambuswald. Links und rechts nichts als die fasznierend dünnen und hohen Stangen. Der Boden ganz weich von den herabgefallenen Blättern. Unfassbar, wie die Bambusstangen jedes Geräusch schlucken. Eine fast schon mystische Ruhe umgibt uns und ich gehe ein paar Meter barfuß. Durch die weiche Erde und die herabgefallenen Bambusblätter fühlt sich der Boden unter meinen Füßen nachgiebig und angenehm an. Der Weg schlängelt sich immer tiefer in den Regenwald, die Bambusstangen recken sich dicht an dicht in den Himmel. Plöztlich wird es hell: Nach einer Kurve tut sich vor uns ein majestätisches Tal auf mit riesigen Banyan-Bäumen. Diese uralten verzweigten Bäume sind zig Meter breit und sie haben außenliegende Luftwurzeln, die ein weitverzweigtes Netz bilden. Ich habe jeden Moment darauf gewartet, dass ein Dinosaurier durch die Bäume bricht. Mich kann ja nichts mehr schocken. Denn Wandern steht jetzt auf der Liste der coolen Dinge. Und Mama und Papa: Das nächste Mal schleppe ich euch mit!

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Kommentare: 2
  • #1

    Andreas Benez (Freitag, 24 März 2017 10:05)

    Ich muss da hin!

  • #2

    Caro (Freitag, 24 März 2017)

    Andreas, ich hab ja gesagt: Ihr müsst mitkommen!