52weeks52sports: EMS

Unter strom

"Mach doch mal EMS" - diesen Satz habe ich in letzter Zeit öfter gehört. Von einem befreundeten Skilehrer als Tipp für schwache Oberschenkel. Von meiner Sportzeitschrift als sicherer Weg zum perfekten "Bodyshape". Und von Freundinnen als Bitte: "Teste das doch mal für dein Projekt und sag uns, wie es war." Ist ja gut. Ich mach ja schon.

Erst mal mache ich mich ein bisschen schlau über das Konzept von EMS. Elektro-Muskel-Stimulation. Mit Hilfe von Elektroden wird Reizstrom durch den Körper geleitet. Um den Effekt zu verstärken macht der Trainierende Übungen, bei denen die Muskeln kontrahieren. Durch den elektrischen Impuls muss der Muskel noch intensiver arbeiten - und soll dadurch schneller wachsen. Das Ganze läuft in den meisten Fällen im Vier-Sekunden-Takt: Vier Sekunden Anspannung und Reizstrom, vier Sekunden Ruhe. Das Verprechen: Mit einer 20-Minuten-Einheit pro Woche so viel erreichen wie mit mehreren Einheiten im Fitness-Studio. In den FAQs steht, dass EMS nicht gefährlich ist - der Reizstrom spreche nur die Skelettmuskulatur an und nicht die der Organe oder des Herzens. Trotzdem habe ich ein komisches Gefühl im Bauch, als ich meine Probestunde bei Bodystreet vereinbare: Will ich wirklich Strom durch meinen Körper leiten? Trainer Julian begrüßt mich mit einem ausführlichen Fragebogen. Er will meinen Trainingszustand einschätzen können, wissen, ob ich Vorerkrankungen habe und welche Ziele ich mit dem EMS-Training erreichen möchte. Danach geht es für mich in die Umkleidekabine. Julian gibt mir eine kleine weiße Kiste mit - darin sind Handtücher und meine Trainingskleidung: Eine Leggings, ein eng anliegendes Shirt und Anti-Rutsch-Socken. Shirt und Leggings sind mit Silberfäden durchwirkt, dadurch leiten sie besonders gut.

Tausende winzige Ameisen im körper

Als ich aus der Kabine komme, hat Julian schon die ersten Manschetten mit Wasser eingesprüht und legt sie mir an: Je eine kommt rechts und links an den Oberschenkel. Die nächsten beiden legt Julian mir um die Oberarme - sie sollen Bizeps und Trizeps stimulieren. Dann drückt Julian mir eine Art Gürtel in die Hand, den ich mir um die Hüften lege, so dass die Elektroden direkt auf der Gesäßmuskulatur sitzen. Zum Schluss bekomme ich eine Weste mit Stimulationsplatten für Brust-, Rücken- und Bauchmuskulatur. Julian zieht sie kräftig zu, ich schnappe nach Luft. Dann stelle ich mich an meine Trainingsstation - ich fühle mich wie ein Roboter in einem futuristischen Raumanzug.

Julian verbindet mich mit dem Stromkabel. Nach und nach dreht er die Intensität hoch - für jeden Muskelbereich einzeln. An den Oberschenkeln halte ich relativ viel aus, am Brustmuskel kapituliere ich schnell. "Aua!" Julian dreht wieder etwas runter. Das Gefühl ist im ersten Moment ehrlich gesagt etwas eklig. In meinen Muskel kribbelt es - es fühlt sich an wie eingeschlafene Füße. Oder eher gesagt so, als hätte mich jemand kopfüber in einen Ameisen-Haufen gesteckt. Dort, wo der Strom höher gedreht ist, ist es fast ein bisschen schmerzhaft. Julian sagt aber, dass das beim ersten Mal normal ist und ich mich daran gewöhnen werde. Als wir für jede Manschette die Impulsintensität geregelt haben, geht das Training los. Ich gehe in eine schulterbreite Stellung, mache eine statische Kniebeuge und warte auf den ersten Stromimpuls. Den signalisieren mir kleine blaue Leuchtdioden an meiner Trainingsstation, die an- und ausgehen.

 

Es britzelt in meiner Oberschenkel-Muskulatur als der Stromreiz kommt. Ich atme bewusst aus und spanne alles an. Julian gibt mir Anweisungen und ich gehe nach und nach in verschiedene Positionen: Mal nehme ich die Arme hoch und ziehe die Schulterblätter zusammen, um die Rückenmuskulatur zu aktivieren. Dann wieder ziehe ich den Bauch nach innen. Ein Ausfallschritt. Noch eine Kniebeuge. Arme nach oben strecken. Nach zehn Minuten läuft die Suppe. Ich bin völlig fertig und es ist ein wirklich komisches Gefühl. Meine Muskulatur zuckt, ohne dass ich mich bewege. Julian hat übrigens Recht, nach und nach gewöhne ich mich an den Reiz durch den Strom. Also dreht Julian die Intensität noch mal hoch. Mein Körper vibriert und ich atme zischend aus. Meine Muskeln haben gefühlt richtig Stress!

Effektivität: Hoch - Spaßfaktor: Niedrig

Die Stromimpulse kommen immer im gleichen Rhythmus, unerbittlich, es gibt keine Verschnaufpause und ich bin mehrmals kurz davor, abzubrechen. Ich fühle mich eigenartig fremdbestimmt. Mehrfach fühlt sich mein rechter Arm an, als wäre er eingeschlafen. Nicht schön. Ich erkenne allerdings auch einen Vorteil am EMS-Training: Ist meine Haltung nicht korrekt, spüre ich es sehr schnell, da der Strom nicht mehr den richtigen Muskel stimuliert. Und da ist ja auch noch Julian, der meine Haltung immer wieder korrigiert. "Durchhalten!" motiviert er mich. Erschöpft starre ich auf die Zeitanzeige. Es sind noch 90 Sekunden und sie kommen mir vor, wie eine Ewigkeit. Julian lässt mich nochmal Ausfallschritte machen. Der Muskel im rechten Oberschenkel ist so leer gepumpt, dass ich die Stellung kaum noch halten kann. Dann ist es geschafft. Julian gibt mir ein High Five, ich stütze mich schwitzend und japsend auf der Trainingsstation ab. Und dann muss ich mich tatsächlich setzen. Mir wird kurz schwarz vor Augen, mein Kreislauf hat sich fast komplett verabschiedet. Julian lockert mir die Weste und bringt mir ein Wasser. Ich atme tief durch, brauche aber ein paar Minuten, bis ich mich wieder traue, aufzustehen. Das ist mir nach dem Training im Fitness-Studio noch nie passiert. Heißt das jetzt, dass ich bisher schlecht trainiert habe? Oder waren die unnatürlichen Elektro-Impulse einfach zu viel für meinen Körper? Nach dem Training recherchiere ich noch etwas intensiver: Offenbar sind Schwindel und Übelkeit mögliche Nebenwirkungen von EMS-Training. Genauso wie stark erhöhte Creatin-Kinase-Werte. CK ist ein Enzym, das die Muskeln mit Energie versorgt. Es wird über die Nieren abgebaut - also sollte man nach dem Training viel Trinken.

Julian macht noch ein Nachgespräch mit mir und versorgt mich mit Wasser. Genauso wie beim Training gibt er sich wirklich viel Mühe und macht auch einen kompetenten Eindruck. Ich bin mir aber jetzt schon sicher, dass das meine erste und einzige Begegnung mit EMS-Training ist. Auch wenn das Training sicherlich sehr effektiv sein kann: Einen Tag später habe ich ordentlich Muskelkater im Gluteus - oder einfach formuliert: Ich komme kaum die Treppe hoch, weil mir der Hintern so weh tut. Aber ich habe mich beim Training und danach sehr merkwürdig gefühlt. Und was noch viel entscheidender ist: Mir fehlt der Spaßfaktor. Kein Glücks-Gefühl wie beim Surfen. Kein Stolz wie nach dem Sprung über den Wakeboard-Kicker. Kein begeistertes inneres Kampfschwein wie beim Taekwondo. Nur Schweiß und extreme Anstrengung. Das ist einfach nicht mein Ding.

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Kommentare: 2
  • #1

    Nath (Donnerstag, 30 März 2017 14:27)

    Danke Dir fürs ausprobieren, ich wollte es schon zig mal testen- konnte mir aber eben nicht vorstellen, dass es wirklich Spaß macht! Jetzt lass ich es in jedem Fall . Freue mich schon jetzt auf den nächsten Test....

  • #2

    Caro (Donnerstag, 30 März 2017 17:47)

    @Nath: Gerne. Auf der anderen Seite muss sich natürlich jeder selbst eine Meinung bilden. Klar, wenn du Spaß suchst, dann ist EMS nicht das Richtige!