Ballett: Anmut ist harte Arbeit

Plié, Tendu, Relevé

Ballett ist keine Extremsportart? Für mich schon. Selten habe ich mich in den letzten Wochen vor Beginn einer Stunde so unsicher gefühlt, wie im Ballettraum. Außer mir und Ballettlehrerin Lara sind noch vier andere Frauen hier. Unter anderem meine Kollegin Sandra, die so nett war, mich mitzunehmen. Ohne sie wäre ich gar nicht drauf gekommen, Ballett zu machen. Aber ein Foto von ihr beim Training in ihrem AC/DC-Shirt hatte mich überzeugt. Ich habe versucht, für mein Ballett-Training im Partnerlook zu kommen und hab ein altes Iron Maiden-Shirt rausgekramt. Ich bin sicher, dass mir das deutlich besser steht, als ein Tüllrock...

Aufrecht stehen kann man (wieder) lernen

Lara schaltet die Musik ein - sanfte Klavierklänge erfüllen den Raum. Die Aufwärmbewegungen sind dagegen weniger sanft. Ich lerne Positionen. Füße nebeneinander, voreinander, hintereinander. Zehen nach außen gedreht. Füße gestreckt. Auf die Zehenspitzen. Gleichgewicht halten. Dazu haufenweise französische Begriffe. Die Hälfte davon hört sich an, wie etwas zu Essen. Stop! Ich schweife ab. Mein Kopf raucht. Ich habe vorher mit Lara vereinbart: Bitte keine Rücksicht auf mich nehmen. Einfach eine ganz normale Ballettstunde machen. Und so stehe ich in einer Reihe an der Stange. Mal vor, mal hinter Sandra und versuche, ihre Bewegungen nachzuahmen. Das ist ganz schön anstrengend. Wir gehen verschiedene Bewegungsabläufe durch. Lara kommt immer wieder vorbei und korrigiert mich: "Knie durchstrecken!" "Arm lang!" "Nicht die Stange aus der Wand reißen!" Huch! Da hatte ich mich wohl etwas krampfhaft festgeklammert. Zum Glück ist Lara nett und entspricht nicht der russischen Klischee-Ballett-Kommandantin. Trotzdem fordert sie Leistung, auch von mir. Nachdem wir uns warm gemacht haben, üben wir Pirouetten und kleine Sprünge. Die anderen drehen sich anmutig durch den Raum. Ich bin vor allem beeindruckt davon, wie aufrecht sie alle stehen. Das ist etwas, das ich im Büroalltag ein bisschen verloren habe. Mit erhobenem Kopf zu gehen. Den Rücken zu strecken und dabei die Schultern fallen zu lassen. Es fühlt sich ungewohnt an, so gerade zu stehen, vor allem wenn man so wie ich zu den eher größeren Menschen gehört.

Von Ludwig XIV zum Tanztheater

Ballett ist vermutlich die älteste Sportart, die ich bisher ausprobiert habe. Das macht ein bisschen ehrfürchtig und die Entwicklung dieser altehrwürdigen Tanzform lässt sich kaum in wenigen Sätzen zusammenfassen.  Das Ballett entwickelte sich im 15. und 16. Jahrhundert an den italienischen und französischen Fürstenhöfen. Damals war es den Männern vorbehalten. Wo sind die eigentlich heute? Mitte des 17. Jahrhunderts gründete Ludwig der XIV. dann in Paris die Académie Royale de danse, an der später dann auch Frauen tanzen durften. Nach und nach entwickelte sich Ballett als eigene Kunstform. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts spalteten sich dann Strömungen wie Ausdruckstanz und Modern Dance ab. Sie stellten das klassische Ballett in Frage, um es zu erneuern. Wie zum Beispiel das Tanztheater unter Pina Bausch, das im Gegensatz zum hochstilisierten klassischen Ballett mit experimentellen Bewegungsformen arbeitet. Gleichzeitig feiern aber zum Beispiel die klassischen osteuropäischen Ballett-Ensembles weltweit Erfolge. Ballett ist faszinierend, weil es so extrem widersprüchlich ist.

Ballett ist nichts für Weicheier

Ich verzweifle zwischendurch an der Stange und kann den Bewegungsabläufen nicht richtig folgen. Ich wünsche mich zurück aufs Wasser mit meinem Board oder aufs BMX, zu Sportarten, die anarchischer und freier sind. Aber dann kommt in mir der Gedanke auf, dass ich Ballett noch nicht richtig verstanden habe. Denn auch und gerade Tanz kann doch eigentlich etwas sehr anarchisches sein. Ausdruck von tiefen Gefühlen. Bewegungen ohne Regeln, die der Seele folgen. Das, was Balletttänzer an der Stange lernen, ist das Handwerkszeug. Die Basis, um später frei zu tanzen zu können. Würde ich mir Ballett als dauerhaftes Hobby aussuchen, wäre ich vermutlich eher für Ausdruckstanz als fürs Klassische geeignet. Lara bescheinigt mir jedenfalls, dass ein gewisses Talent beim "hinterherhoppeln" zu erkennen war. Klar ist mir nach der Stunde aber auch: Ballett ist nichts für Weicheier. Es sieht leicht, sanft und anmutig aus. Dahinter steckt aber verdammt viel Arbeit und Durchhaltevermögen. Es ist ein Sport für Disziplinierte, die hart im Nehmen sind. Spagat zum Beispiel lernt nur jemand, der einiges aushält. Und dranbleibt. Und wer mal Spitzentanzschuhe anhatte, weiß, was Schmerzen sind. Sandra hat mir ihre geliehen. Ein kurzer verkrampfter Moment auf den Zehenspitzen. Ich weiß nicht, wer so viel Disziplin aufbringen kann, das zu trainieren. Ich könnte es vermutlich nicht. Ballett ist aber auch ein Sport für Kreative, die mit Tanz Gefühle ausdrücken können, Geschichten erzählen, Zuschauern Gänsehaut machen und sie zum Weinen bringen. Oder zum Lachen. Denn das Wichtigste, das ich in meiner Ballettstunde lerne, ist: Ballett ist auch ein Sport für lustige Menschen. Ich habe selten so viel gelacht in einer Sportstunde, wie in dieser. Und so verlasse ich mein erstes Balletttraining mit einem Lächeln auf den Lippen und aufrechterem Gang, als vorher. Und dem festen Vorsatz, mir endlich mal Karten fürs Tanztheater in Wuppertal zu kaufen.

Für wen?

Ballett eignet sich für alle, die gerne tanzen. Die aber auch bereit sind, hart an sich zu arbeiten. Ballett schult die Körperhaltung, die Beweglichkeit und es hilft beim Abschalten, denn hier ist absoulte Konzentration gefragt und kein Platz im Kopf für Alltagsgrübeleien. Einfach mal ausprobieren!

Wie und wo?

Es braucht vermutlich eine gute Portion Mut, um mit dem Ballett anzufangen. Vor allem für die von uns, die nicht schon als Kinder gelernt haben, was der Unterschied zwischen Position 1 und Position 5 ist. In vielen Städten gibt es Ballettschulen, die sich explizit an Erwachsene und Späteinsteiger richten.