Mauern sind zum Klettern da: Parcours

Foto by IsabelFalconer.Stories (Link im Bild)
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Ich könnte heulen. Auf diese Woche hatte ich mich ganz besonders gefreut. Und dann das: Ich muss zum Arzt und komme mit einer Wunde zurück, die mit vier Stichen genäht werden musste. Also nichts mit Sport. Und dabei wollte ich doch unbedingt zum Parcours-Workshop. Die kleine Rebellin in mir zickt rum: Ich geh einfach trotzdem, egal was der Arzt sagt. Ich packe also meine Sporttasche und fahre zum Move Artistic Dome. Neben Trampolinen und Sprungkissen gibt es hier eine Parcours-Area und einen Schwungboden, auf dem Tricking-Kurse gegeben werden. Hier wärmen wir uns auf. Die erste Übung kann ich noch mitmachen: Von der Grundlinie bis zur nächsten Linie flitzen, kurz hinsetzen, rückwärts zurück laufen und dann das ganze bis zur zweiten Linie, dritten Linie und so weiter bis ins Ziel. Aber schon die nächste Übung kickt mich raus: Trainer Felix lässt uns das Gleiche mit Liegestützen machen. Der Arm tut weg, ich muss vernünftig sein. Und auch Felix sagt: "Ganz, oder gar nicht". Kurz schießt mir ein kleines Tränchen ins Auge - dann gebe ich auf. Ich kann heute nur Zuschauerin sein, so ätzend ich das finde. Ich setze mich an den Rand, wickle mich in meinen dicken Pulli ein und schaue den anderen beim Aufwärmen zu.

Parcours ist auch Philosophie

Felix lässt sie über den Boden rollen und springen, sie machen Handstände, schlagen Räder, krabbeln und üben, sich abzufedern. Eine halbe Stunde lang Bewegungs-Basics, dann geht es in den Übungs-Parcours. Erstes Thema ist Balancieren. Auf einem Gerüst aus Metallrohren zeigt Felix, wie man sich geschickt von einer Stange zur anderen bewegt. Seine Bewegungen wirken katzenartig, geschmeidig, er fließt fast mit den Füßen über das Gerüst. Dann balanciert er entspannt über einen Schwebebalken und über erhöhte Stangen, die zwischen Kästen befestigt sind. Während die Kursteilnehmer versuchen, Felix' Tipps umzusetzen, quatschen wir ein bisschen. Felix trainiert schon seit Jahren Parcours, wenn er darüber spricht,  ist es fast philosophisch.

 

Es geht einfach nur darum, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen. Sich effektiv fortzubewegen. Was einem gleichermaßen natürlich das Gefühl gibt, in der Umgebung handlungsfähig zu sein, die Umgebung für seine Zwecke umzuinterpretieren und dementsprechend das Kräfteverhältnis eigentlich im Raum ein bisschen umzukehren.  Eine Mauer, die vorher dafür da war, uns auszugrenzen, eigentlich ein Hindernis darzustellen, sehen wir Traceure in dem Zusammenhang mehr als Möglichkeit, sich daran auszuprobieren.

 

 

Der Gedanke, dass Parcours die Möglichkeit eröffnet, das Stadtviertel, in dem man lebt, völlig neu kennen zu lernen, gefällt mir. Felix findet, dass Fitness-Studios überflüssig sind. "Du brauchst nur frische Luft und deinen Körper. Das reicht für ein gutes Training. Deswegen betreibt er mit Freunden zusammen das Freiluft Gym. Ich mag das Konzept, draußen zu sein und das, was mir die Stadt bietet, als meinen Trainingsplatz zu betrachten. Felix erklärt den Kursteilnehmern, wie man auf eine Mauer komm. Dafür gibt es große Kästen, an denen leicht schräge Bretter angebracht sind. Für den Anfang ist das einfacher, als eine komplett senkrechte Mauer hochzulaufen. Felix nimmt Anlauf, stößt sich kurz mit einem Fuß an der Wand ab, schnellt hoch, stützt sich kurz auf und steht im gleichen Moment auf dem Kasten. Ich weiß, würde ich das probieren, würde ich vermutlich einfach nur dagegen laufen.

Wie früher im Turnunterricht

Wieder übt die Gruppe, wieder quatschen wir. Felix erklärt mir Parcours am Beispiel einer Parkbank. Für mich wäre sie eine Einladung, mich darauf zu setzen und vielleicht ein Buch zu lesen. Für Felix ist sie eine Einladung, sie auf die verschiedensten Arten zu überwinden. Er zeigt das an einem der Turnkästen, wie ich sie noch aus dem Sportunterricht kenne: Für die Anfänger ist es einfacher, seitlich darüber zu springen. Eine Hand stützt sich ab, ein Fuß setzt kurz auf und schon ist der Kasten überwunden. Fortgeschrittene können auch einen Hocksprung machen: Mit beiden Armen aufgestützt, die Beine springen zwischendurch. Bei dem ein oder anderen Kurusteilnehmer geht das fast schief, sie bleiben mit den Füßen hängen. Zum Glück liegen dicke Matten hinter dem Kasten. Felix berührt das Gerät tatsächlich kaum, wenn er es überwindet. Ein kurzer Kontakt mit den Händen, ein Impuls, schon hat er das Hinderniss hinter sich gelassen. Was würde ich drum geben, mich auch so sicher bewegen zu können.

Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten

Wir sprechen darüber, dass wir Menschen so viel von dem verlieren, was wir als Kinder mal konnten. Radschlagen. Mauern hochklettern. Über Hindernisse springen. Ich bin wieder bei meinem Angst-Thema. Ich bin mir ziemlich sicher: Hätte ich den Kurs mitmachen können, hätte ich bei manchem kapituliert. Zum Beispiel beim Balancieren auf dem hohen Gerüst. Dem Lauf entlang der Mauer. Oder dem Hocksprung über den Kasten. Felix sagt, dass immer wieder einzelne Leute in den Kurs kommen, die Ängste haben. Und dass man dann eben herausfinden muss, woher sie kommen, um sie zu überwinden. Denn ohne Überwindung kein Parcours. "Man muss sich selbst einfach ein bisschen was zutrauen", sagt Felix. Und springt elegant eine Wand hoch. Das möchte ich auch lernen. Und ich weiß sicher: Ich komme zum nächsten Workshop wieder. Und was ich heute beim Zusehen gelernt habe, probiere ich nächste Woche mal an einer kleinen Mauer aus. Oder an einer Parkbank. Ist gerade eh zu kalt, um sich gemütlich mit einem Buch drauf zu setzen.

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