Mit Zahnschutz und Stollenschuhen - Quidditch

Es ist mindestens 15 Jahre her, dass ich mir ein Buch aus dem Regal meiner kleinen Schwester geklaut habe und dann etwa 40 Stunden lang nicht schlafen konnte. Solange bis ich auch die letzte Seite zu Ende gelesen hatte. Harry Potter und der Stein der Weisen und sechs weitere Bände entführten mich in die Welt von Hexen und Zauberern. Und weil es eine ziemlich gute Welt ist, wird dort natürlich auch Sport gemacht. Quidditch - auf fliegenden Besen mit verzauberten Bällen, die die Spieler unerbittlich vom Besen stoßen und Gegnern, die vor so gut wie nichts zurückschrecken. Und dank ein paar amerikanischer College-Studenten gibt es Quidditch inzwischen auch in der realen Welt.

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Muggel-Quidditch

An einem sonnigen Oktobernachmittag treffe ich die Rheinos bei ihrem Quidditch-Training im Bonner Schlosspark. Auf den ersten Blick könnte man meinen, sie würden Handball oder vielleicht Rugby trainieren. Wären da nicht zwei ungewöhnliche Dinge. Erstens: Jede Mannschaft hat Tore in Form von autoreifengroßen Ringen. Jeweils drei dieser Ringe stehen an den Kopfseiten des Spielfeldes, in unterschiedlicher Höhe auf Stangen montiert. Zweitens und noch ungewöhnlicher: Jeder der Spieler hat eine Gymanstikstange zwischen den Beinen. Die Besen. Leider fliegen sie nicht.

 

Neben den "Besen" gehören noch vier Bälle zum Spiel. Ein etwas härterer Volleyball - der sogenannte Quaffle. Den spielen sich die Chaser, die Jäger, gegenseitig zu und versuchen, mit einem Wurf durch die Ringe des Gegners zu punkten. Diese Ringe werden verteidigt vom Hüter - Unterstützung bekommt er auf dem Feld von den Beatern, den Treibern. Sie sind für die anderen drei Bälle verantwortlich, die von Anfang an mit im Spiel sind: Die Bludger oder Klatscher. Mit denen können die Treiber die anderen Spieler abwerfen, wie beim Völkerball. Wer getroffen ist, ist raus. Quasi vom Besen gefallen. Erst wenn er einen der eigenen Torringe kurz berührt hat, ist er wieder im Spiel. Und wer Harry Potter kennt, weiß, was noch fehlt: Die Seeker (Sucher) und der Schnatz. Dieser goldene Schnatz ist im Buch ein fliegender Ball, der eingefangen werden muss, um das Spiel zu beenden. Da Bälle im wahren Leben immer nur kurz in der Luft bleiben, gibt es beim Muggel-Quidditch einen Snitch-Runner. Dieser Spieler kommt erst in der 17. Minute aufs Spielfeld - der Schnatz ist in einer Socke, die an seinem Hosenbund befestigt ist. Klar soweit?

Keine Berührungsängste beim Quidditch

Quidditch ist ein komplexes Spiel und auch ohne fliegende Besen schwierig genug zu verstehen. Ich werde sofort ins kalte Wasser geworfen. Spielerin Momo drückt mir ein Trikot und einen Besen in die Hand und schickt mich zu den beiden Trainingsgruppen. Die üben gerade verschiedene Arten des Angriffs, wie sie sich den Ball zuspielen, wer wen ausbremst, ablenkt, wer sprintet und wer punktet. Ich hab erstmal Berührungsängste und noch nicht so den richtigen Durchblick. Außerdem fühle ich mich etwas merkwürdig mit der Gymnastikstange zwischen den Beinen. Dabei ist es mir gar nicht mal so wichtig, dass Spaziergänger im Park irritiert gucken. Viel schlimmer ist, dass mich diese Stange total unbeholfen macht. Laufen, Richtung wechseln, Ball fangen, den Gegner blockieren - das alles ist gar nicht so einfach, wenn man einen Gymnastikstab zwischen den Oberschenkeln balancieren muss. Und dann wird auch noch getackled. Quidditch ist eine Art Mischung aus Handball, Rugby und Völkerball. Es geht also richtig zur Sache und die Spieler und Spielerinnen tragen nicht umsonst Zahnschutz. Es darf geschubst und festgehalten werden und davon wird auch ordentlich Gebrauch gemacht. Mehrfach verliere ich den Ball, bekomme einen Klatscher ab oder laufe verwirrt in die falsche Richtung. Aber dafür, dass ich Bälle eigentlich nicht so mag, habe ich ziemlich viel Spaß.

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Quidditch ist für alle da

Dass ich mich schnell wohl fühle, liegt auch an der Mannschaft. Männer und Frauen spielen immer gemischt - eine der wichtigsten Regeln beim Quidditch. Und die Sportler der Rheinos sind ganz unterschiedliche Typen, jeder scheint hier willkommen zu sein. Auch ich, die ich immer noch nicht so ganz verstanden habe, aus welcher Richtung da plötzlich schon wieder der Ball geflogen kommt und was nochmal der Unterschied zwischen der Angriffsformation "Maus" und "Bär" war. Die Mädels und Jungs um mich rum geben Vollgas - auf ihren Stollenschuhen sprinten sie über den Rasen, wehren die Angriffe der Gegner mit viel Körpereinsatz ab, tricksen sich gegenseitig aus und werfen Tore. Ihr hartes Training das ganze Jahr über hat sich für sie auch schon ausgezahlt - Mitte Oktober haben sie das Finale der ersten Deutschen Quidditchliga gewonnen und Anfang November die Deutschen Quidditchspiele. Damit haben sie sich auch für den European Quidditch Cup im April 2018 qualifiziert. Quidditch ist auf jeden Fall ein ernst zu nehmender Sport, für den die Spieler fit, taktisch geschickt und hart im Nehmen sein müssen. Wer also blöde Witze über Besen macht, soll selbst erstmal ein Training ohne Jammern überstehen.

 

Zum Schluss gelingt dann auch mir noch ein guter Spielzug. Ich schaffe es, zwei Gegner zu umlaufen, mir den Ball nicht abnehmen zu lassen und ihn so zu meinem Partner zu passen, dass der ein Tor werfen kann. Ich bin völlig außer Atem und ein bisschen stolz. Quidditch macht wirklich Spaß.

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