Voltigieren - Tänzer auf dem Pferderücken

Ich bin seit heute Fan. Fan von Lara. Sie ist erst zwölf und steckt mich sowas von in die Tasche. Nicht nur weil sie Spagat kann oder Handstand in allen möglichen Variationen. Oder weil sie auf einem galoppierenden Pferd turnt, als gäbe es keine Schwerkraft und damit zusammen mit ihrem Team schon deutsche Meisterin geworden ist. Das ist alles extrem beeindruckend, keine Frage. Was mich an Lara aber am meisten beeindruckt, ist, dass sie das alles mit einer absoluten Leichtigkeit tut. Sie scheint weder Angst noch Zweifel zu kennen und strahlt auch dann noch fröhlich, wenn sie von einem Trainingspartner in schwindelerregender Höhe herumgewirbelt wird. Als ich sie frage, ob sie nie Angst hat, sagt Lara: "Ich vertraue den anderen." Die anderen, das ist das Team Neuss. Der erfolgreichste Voltigier-Verein der Welt. Für Lara sind es die Menschen, mit denen sie fast jede freie Minute verbringt. Ich hatte auch mal so ein Team, vor vielen vielen Jahren. Mit sechs habe ich mit dem Voltigieren angefangen und habe tatsächlich vor kurzem im Keller eine Tüte mit verknitterten Turnier-Schleifen gefunden.

Pferd Pferdesport Voltigieren Turnier Kür Fahne

Für Voltigieren braucht man Teamgeist und Vertrauen

Unfassbare 23 Jahre ist dieses Bild alt. Zwei Jahre später musste ich mit dem Voltigieren aufhören - meine Knie haben es nicht mehr mitgemacht. Umso mehr freue ich mich, dass ich für 52weeks52sports eine kleine Reise in meine Vergangenheit machen darf. Denn Voltigieren ist ein toller Sport. Ein Teamsport, in dem sich jeder Sportler auf den anderen verlassen können muss. Und die Gruppe als Ganzes muss dem Pferd vertrauen. Lara wird heute auf Smarti voltigieren - aus ihrer, aber auch aus meiner Perspektive ein Riese mit einem Stockmaß von 1,80 Meter. Bevor ich mich auf seinen Rücken traue, wärme ich mich erstmal zusammen mit Lara auf. Lauf-ABC und Dehnen. Außerdem Kraftübungen. Lara schüttelt mal eben ein paar Handstand-Variationen aus der linken Hosentasche. Mit vereinten Kräften von Trainerin Eli und Laras Team-Kollege Leon darf ich auch mal kurz Kopf stehen.

Movie - das lebensgroße Schaukelpferd

Dann besuchen wir erstmal Movie - ein Pferd aus Holz, das eine täuschend echte Galopp-Bewegung nachahmt. Hier kann ich mir wieder in Erinnerung rufen, wie sich das anfühlt auf dem Pferd. Lara zeigt mir erstmal, was Movie und sie können. Eingeschaltet wirkt Movie ein bisschen wie ein übergroßes Schaukelpferd mit Münzeinwurf vor einem Supermarkt. Elegant springt Lara auf den Rücken des Holzpferdes und zeigt mir ein paar Übungen. Sie schwingt sich in den Handstand, dreht sich in der Luft und zieht die Beine in den Spagat. Dann schaltet sie Movie erstmal wieder aus, damit ich sicher hochklettern kann. Ehrlich gesagt habe ich Zweifel, dass sich das wirklich anfühlt, wie ein galoppierendes Pferd. Aber ich täusche mich. Ruckelnd setzt sich Movie wieder in Bewegung und ich habe tatsächlich das Gefühl auf dem Rücken eines echten Voltigierpferdes zu sitzen. Lara lässt mich "Fahne" üben - ein Bein kniet auf dem Rücken, das andere wird nach hinten gestreckt. Mühsam versuche ich, die Galoppbewegung von Movie auszugleichen, ohne dabei meinen Zuschauern mit dem ausgestreckten Bein zu winken. Gar nicht so einfach. Ob ich das nachher wirklich auf Smartis Rücken hinbekommen werde?

Voltigieren verdient mehr Aufmerksamkeit

Erstmal sind Lara, Mona und Leon dran. Die Voltigierer des Teams Neuss haben eine erfolgreiche Saison hinter sich - sie haben nicht nur die Deutschen Meisterschaften mit der Gruppe gewonnen, sondern auch das renommierte Turnier CHIO in Aachen. Jetzt heißt es, den Herbst und Winter über fit zu bleiben, bis nächstes Jahr dann wieder Turniere anstehen. Auch wenn die drei vermutlich nur mit halber Kraft üben - für mich ist es trotzdem Wahsinn, was sie auf dem Rücken des galoppierenden Smartis turnen. Handstände, Sprünge, Hebefiguren. Ich denke daran, wie schade es ist, dass Voltigieren nicht bekannter ist. Es gibt wenige Sportarten, die so athletisch, elegant, akrobatisch und gleichzeitig spektakulär sind. Falls ihr mal sehen wollt, was das Team Neuss auf einem Turnier so alles zeigt - hier die Kür vom CHIO.

Noch einmal den Mut meines 13-Jährigen Ichs aufbringen

Dann darf ich tatsächlich auch mal aufs Pferd. Ich bin ein bisschen nervös, denn erstens kann ich nix mehr und zweitens ist Smarti wirklich groß. Aber wenn sich Lara da rauf traut, darf ich mich ruhig auch trauen. Leon hilft mir hoch und dann sitze ich zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren wieder hinter einem Voltigier-Gurt. Ein komisches Gefühl. Ich war zwar nie auch nur annähernd so gut, wie Lara - aber ich konnte zumindest auch mal auf einem galoppierenden Pferd stehen und andere hochheben. Ich war "Untermann", da ich schon früher immer zu den großgewachsenen gehörte. Meine Aufgabe war, kleine Voltigierer wie Lara bei ihren akrobatischen Einlagen zu heben, zu stützen und zu sichern. Ich kann mir das heute tatsächlich nicht mehr vorstellen, wo ich die Balance und Sicherheit her hatte. Die einzige, die mir jetzt gerade Sicherheit gibt, ist Trainerin Eli in der Mitte. Sie lässt Smarti angaloppieren. Das fühlt sich doch wackliger an, als Movie. Erstmal bin ich einfach nur mit Sitzen beschäftigt. Eli schlägt mir vor, zur Entspannung von allen Beteiligten Smarti zu loben. Vorsichtig lasse ich eine Hand los und klopfe dem großen Fuchs auf den Hals. Langsam gewöhne ich mich an den Galopp-Rhythmus. Und dann fragt Eli: "Magst du dich mal hinknien?" Ich gebe mir einen gedanklichen Tritt in den Allerwertesten und knie mich hin. "Und jetzt noch das Bein raus - fertig ist die Fahne." Es klappt. Nicht so wie früher, aber ich strecke das Bein nach hinten und falle wider Erwarten nicht von Smartis Rücken in den Hallensand. Trotzdem bin ich ganz froh, als ich wieder sitze und Eli Smarti wieder in den Schritt fallen lässt.

Und dann darf ich noch mal Untermann sein. Lara springt im Schritt hinter mir aufs Pferd und wir machen eine Doppelübung. Ich meine Fahne und Lara eine Standwaage. Mit einem Profi an der Seite fühlt sich das gleich viel sicherer an. Dann springt Lara ab, ich rutsche vorsichtig von Smartis Rücken und klopfe seinen Hals. Von allen Seiten bekommt das Pferd Lob und was zu Knabbern zugesteckt. Es ist schön zu sehen, wie Smarti Teil des Teams ist. Und es ist schön zu sehen, wie viel Spaß Lara und ihr Team bei ihrem Sport haben. Bei mir weckt es Erinnerungen an eine tolle Zeit in meinem Leben. Mit 36 fange ich natürlich nicht wieder an, zu Voltigieren. Aber ich bin total dankbar, dass ich es für mein Projekt beim Team Neuss nochmal ausprobieren durfte.

Pferd loben Team Neuss Voltigieren Pferdesport Akrobatik

Für wen?

Voltigieren ist vor allem ein Sport für junge Menschen - gleichzeitig ist es aber übrigens auch ein Therapiesport. Denn Pferde sind ganz einfühlsame Partner. Und an ihnen sollte man auf jeden Fall Interesse haben, wenn man sich fürs Voltigieren interessiert. Eine gute Beweglichkeit kann auch nicht schaden. Genauso wie Mut und Teamgeist.

Wie und wo?

Viele Reitvereine bieten Voltigieren als Breitensport für Kinder an - oft als Möglichkeit für die Kleinsten, um mal in den Pferdesport reinzuschnuppern. Wer mehr Ehrgeiz hat, sollte sich (oder seinem Kind) einen Verein mit Turniergruppen suchen. Und für die ganz Talentierten: Das Team Neuss veranstaltet auch Castings auf der Suche nach Nachwuchs.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0